(Joh. Schmitt: Sagen und Geschichten aus dem lieben Badnerland Bd. 1)

Etwa eine Stunde von Sinsheim entfernt und beinahe von allen Punkten des Hügellandes sichtbar, erhebt sich der Steinsberg, dessen Gipfel die stattlichen Überreste eines alten Schlosses krönen.

Auf diesem Berge herrschte in grauer Vorzeit ein mächtiger Riese, der oft in das Land hinein auszog, Hirten und Reisende beraubte, und wenn sie sich wehrten, mit sich auf seine steile Felsenburg schleppte, wo er sie den Hungertod sterben ließ.Nahte er auf wildem Streitrosse, so brausten die Lüfte wie stürmisches Waldesrauschen; schlug er mit seiner Wehr an ein Haus, so fiel es in tausend Stücke. Wer ihn horte, verbarg sich in tiefster Erdhöhle; doch selten entging jemand seinem flammenden Späherblicke.

Nicht weit von der Riesenburg lag ein liebliches Tal, und in diesem wogte ein tiefer, grün umwaldeter See. Einst lustwandelte ein holdes Mägdelein, Blumen suchend, an dessen Ufer. Da brach der Bergriese aus dem Dickicht hervor, ergriff die zitternde Jungfrau und riss sie mit sich fort. Sie klagte und schrie um Hilfe, aber niemand vermochte ihr beizustehen. Doch auf einmal entwand sich die Gefangene den todbringenden Hinden des Riesen, rief den Himmel um Beistand an und sprang wagemutig in den grünlichen See. Und wunderbar! Sie versank nicht in den Wellen, denn unsichtbare Hinde trugen sie sanft über das Wasser bis zum jenseitigen Gestade. Voll Wut wollte der Riese der Flüchtigen nachsetzen; aber die Wellen schlugen schäumend über dem Räuber zusammen und begruben ihn in ihren geheimnisvollen Tiefen.

Heute ist der See am Steinsberg nicht mehr vorhanden. Sanftes Wiesengelände, auf das frohe Hirten ihre schäkernden Herden zur Weide treiben, deckt jetzt die Flache, wo einstens wilde Wogen brandeten und muntere Fischlein im Glanze der Sonne spielten.